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Staatenlos.ch hat seit 2015 über 1200 deutsch-sprachige Klienten mit seinen Beratungsdienstleistungen auf dem Weg in die (Steuer)-Freiheit begleitet. In dieser Zeit hat sich nicht nur die Kompetenz des Staatenlos-Teams stark weiterentwickelt, sondern vor allem die konkreteten Klienten-Feedbacks trugen zu einem reichen Erfahrungsschatz bei.

Dieser Erfahrungsschatz bildet jedoch ab und an ein Ungleichgewicht mit den Meinungen zugelassener Steuerberater. Wir sind stolz darauf keine “Steuerverbrater” zu sein und können diesem Beruf bis auf wenige Ausnahmen kompetenter Partner auch wenig abgewinnen. Steuerverbrater sind in der Regel der verlängerte Arm des Finanzamtes und in Fällen geringer persönlicher Integrität für viele Steuerzahler eher schädlich als nützlich.

Man kann ihnen ihre Vorsicht in vielen Belangen freilich nicht verübeln. Die berufsständischen Regulierungen sind hart, die Bürokratie immens. Spätestens seit Meldepflichten wie DAC6 hat fast kein Steuerberater mehr Lust Auslandskonstrukte zu betreuen und wird schon, wie viele Klienten schildern, plötzlich panisch abweisend. Kommt hinzu noch die Haftung im Schadensfall der Fehlberatung ist klar, dass ein Großteil der Steuerberater lieber Steuerverwalter spielt und sich auf Buchhaltung und Co. konzentriert.

Buchhaltung – darauf sind wir auch stolz – können wir gar nicht. Wir sind hier jedem Industriekaufmann in Ausbildung fachlich unterlegen. Buchhaltung – sofern wir selbst überhaupt dazu verpflichtet sind – sourcen wir an entsprechende Partner vor Ort aus.

 

Bei Staatenlos geht es nicht um Steuerverwaltung, sondern Steuerbefreiung oder zumindest -minimierung. Und wir finden das verdammt geil, weil Steuern weder moralisch noch utilitaristisch zu rechtfertigen sind. Wahrscheinlich ein weiterer Punkt, der uns von 99,9% der zugelassenen Steuerverbrater unterscheidet.

 

Im Gegensatz zu Steuerberatern haben wir gerade durch die Tatsache nicht reguliert zu sein den Vorteil nicht stumpf aufs Gesetz schauen zu müssen und es wie in unserer Ausbildung gelernt zu interpretieren. Wir können die Erfahrung aus tausenden tatsächlichen Beratungsfällen einfließen lassen und mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten. Der Steuerberater muss zu 100% die konservativste Auslegung vorstellen um sich nicht zu gefährden.

Wir können hingegen gerade durch die Erfahrung sagen, ob etwas zu Null, 5, 20 oder 50% Probleme verursacht – abhängig von der unternehmerischen Vorgeschichte, Gewinn und so weiter. Damit kommen wir deshalb gerade im geringen Umsatzbereich – und das ist unter einer Million im Jahr fast immer noch gegeben – oft zu anderen Schlüssen als der Steuerberater, der sich zwar in vergleichbaren Sachverhalten auskennt, aber nur Fälle mit deutlich höheren Volumina tatsächlich betreut hat.

Aber genug des Spottes. In diesem Artikel wollen wir uns einige gängige Fälle anschauen, in denen Steuerberater laut ihrer Interpretation des Gesetzes ein großes Problem sehen (das sie natürlich teuer lösen können), während es in Wirklichkeit gar keines ist. Aufmerksam wurde ich auf diese Fälle vor allem durch die Dissonanz der tatsächlichen Klientenerfahrungen mit der Meinung, die diese vorher von Steuerberatern erhalten haben.

Auch deshalb haben es Begriffe wie “Funktionsverlagerung” oder “Entstrickung” bisher kaum auf den Blog gefunden, da es in der Praxis für den typischen Staatenlos-Kunden – ortsunabhängige Unternehmer/Investoren mit Gewinn zwischen 50.000€ und 1 Million Euro im Jahr (wer mehr verdient, der kann natürlich trotzdem von unserer Beratung profitieren) – nicht wirklich relevant ist. Eine große Rolle spielt dabei das Stichwort “Bagatellgrenze”.

 

Die Bagatellgrenze im deutschen Steuerrecht

Allgemein bezeichnet eine Bagatellgrenze eine Schwelle, an der ein Tun oder Unterlassen wirtschaftlich geboten ist. Der Duden definiert den Begriff „Bagatelle“ mit „unbedeutende Kleinigkeit“. Daraus folgt, dass hier die Grenze zwischen einer unbedeutenden und einer bedeutenden Kleinigkeit gezogen wird. Im Sprachgebrauch des 21. Jahrhunderts wird die Bagatelle oft auch mit dem Begriff „Peanuts“ umschrieben.

Ein Beispiel aus dem Alltag ist zum Beispiel das Strafmandat nach dem “Blitzer”. Auch wenn man einige Kilometer schneller unterwegs war, als vorgeschrieben, gibt es eine gewisse Bagatellgrenze bis zu der diese Tatsache nicht geahndet wird (wenn auch oft mit möglichen Messfehlern begründet). Es macht logisch aber schließlich keinen Sinn alle zu bestrafen, die mit 51 bei 50 gefahren sind. Lieber konzentriert man sich auf die, die mit 80km/h oder schneller unterwegs fahren.

Eine ähnliche Bagatellgrenze findet sich ganz klar auch bei der Steuerverwaltung. Obwohl (oder gar weil?) Deutschland in Rekord-Steuereinnahmen schwimmt, sind die Finanzbehörden chronisch unterbesetzt. Man kann sich nicht um jeden Fall kümmern, der ein paar Euros mehr in die Kassen spült. Auch Behörden sind Wirtschaftlichkeitsmaßstäben unterworfen. Sie konzentrieren sich auf die Fälle, in denen mit besonders wenig Arbeit besonders viel zu holen ist. Das muss nicht immer unbedingt monetär sein. Gerade bei hoher Öffentlichkeitswirkung wird auch gern mal ein Exempel zur Abschreckung statuiert.

 

Freilich sind die Bagatellgrenzen im deutschen Steuerrecht selten ins Gesetz gegossen. Schließlich wäre es für die Steuerverwaltung fatal, wenn die Allgemeinheit wüsste, bis zu welcher Schwelle die Nichtbefolgung von Gesetzen nicht verfolgt oder vollstreckt wird. Bagatellgrenzen sind deshalb in der Regel nur Finanzbeamten bekannt und werden von den Behörden jedes Jahr aufs Neue festgelegt.

 

Sind Sachverhalte leicht verfolgbar, so ist die Bagatellgrenze entsprechend niedrig. Dies ist zum Beispiel bei der Zahlung von festgesetzten Steuern der Fall. Erreicht das Finanzamt weniger als 10€ der geforderten Steuersumme so wird generell von einer Vollstreckung dieser geringen Differenz abgesehen. Ist es mehr oder ist man etwas zu spät, hat man schnell aber eine Kontenpfändung am Hals.

Sind Sachverhalte schwierig verfolgbar, so wird die Bagatellgrenze eher hoch sein. Das beste Beispiel ist hier die Umsatzsteuer im B2C-Business von Nicht-EU-Firmen. Rein theoretisch fällt nämlich bei in Deutschland erbrachten Dienstleistungen an Privatkunden mit Firmen außerhalb des EU-VAT-Raums Umsatzsteuer an. Hier ergeben sich aber einige Probleme bei der Verfolgung.

Erstens ist es eine gewaltige Menge an Transaktionen, die zweitens nicht zu belegen ist. Da Privatkunden nichts absetzen können, brauchen sie keine Rechnung. Wo keine Rechnung ist wird es aber bereits schwierig eine Transaktion nachzuweisen, besonders wenn kein Kontenzugriff besteht.

Aus Wirtschaftlichkeitsgründen konzentriert sich die Finanzverwaltung deshalb vor allem auf den Handel, da hier durch ein physisches Produkt, das ins Land muss (Zoll), am ehesten die Nachverfolgbarkeit gewährleistet ist. Nach der EU-Umsatzsteuerreform mit Streichung aller Ausnahmen ist ab 2021 zumindest hier geraten Umsatzsteuer im Kundenland tatsächlich zu zahlen.

 

Durch Druck auf Plattformen wie Amazon, Shopify und neuerdings auch Zahlungsdienstleister wie Paypal, Nutzer nur mit Umsatzsteuerregistrierung auf ihren Plattformen verkaufen zu lassen, besteht auch ein effektives Mittel dazu. Reines Dropshipping ohne Drittanbieter wird weiterhin möglich sein, aber sicher nicht so profitabel wie es sein könnte.

 

Bei virtuellen Produkten oder Dienstleistungen ist die Nachverfolgbarkeit aber ungleich schwieriger. Das hat auch die EU erkannt und das Kundenlandprinzip für den Verkauf automatisierter digitaler Produkte vom Steuerschuld ab dem ersten Euro auf eine Freigrenze von 10.000€  reformiert, bei der noch die Umsatzsteuerregeln des Sitzlandes gelten.

Zuständig für die Umsatzsteueranmeldung und -abführung im hier betrachteten Kontext ist übrigens einzig das Finanzamt Berlin-Neukölln. Wer das Glück oder Pech (wie mans nimmt) hat in diesem Stadtbezirk steuerpflichtig zu sein, weiß was gemeint ist. Steuerpflichtige Klienten von uns in Neukölln haben Ende 2019 gerade ihre Steuerbescheide für 2011 erlassen bekommen. Das Finanzamt hat also einen Bearbeitungsrückstand von knapp 7 Jahren. Wie es in der Bearbeitung von Umsatzsteueranmeldungen für Nicht-EU-Drittländer aussieht darf gerne ausprobiert werden…

 

Kein Bagatell – Strafbarkeit von Steuerhinterziehung

Die Bagatellgrenze sollte aber auf keinen Fall mit vorsätzlicher Steuerhinterziehung verwechselt werden, die strafbar ab dem ersten Euro ist. Die Bagatellgrenze ist keine Freigrenze, bis zu der man auf jeden Fall straffrei bleibt. Die Bagatellgrenze ist die Grenze, bei der es für Finanzbehörden nicht wirtschaftlich ist einen Fall zu verfolgen oder zu vollstrecken. Dieser feine Unterschied sollte immer beachtet werden.

Somit ist die Bagatellgrenze vor allem bei Fällen relevant, wo die Interpretation des Gesetzes zu Lasten des Steuerpflichtigen besonders aufwändig ist. Dies ist bei den 4 unten genannten Fällen gegeben. Wer mit sich selbst abrechnet und/oder über eine Briefkastenfirma Steuern verkürzt und etwa durch den Automatischen Informationsaustausch erwischt wird, der hat keine Bagatellgrenze zu erwarten. Oder anders gesagt: eine Briefkastenfirma lohnt sich wegen ihrer Kosten erst dann, wenn die Bagatellgrenze bereits überschritten wurde.

Der Vollständigkeit halber, weil wir es noch in keinem anderen Artikel gemacht haben, wollen wir aber hier auf die Folgen von Steuerhinterziehung in Deutschland grob eingehen. Selbstverständlich können wir trotz des relativ geringen Strafmaßes im unteren Bereich Steuerhinterziehung auf keinen Fall empfehlen.

 

Staatenlos.ch handelt und berät ausschließlich hundert Prozent legal. Natürlich kann unsere Expertise aber mißbraucht oder fehlinterpretiert werden.

 

Gerade im Bereich des Lebensmittelpunktes ist es für uns stark verwunderlich, dass es noch keinen einzigen Präzedenzfall digitaler Nomaden gibt, die wegen zu starker Bindung wieder eine deutsche Steuerpflicht unterstellt bekommen. Unserer Beobachtung der Szene nach könnten die Finanzbehörden hier Dutzende Lebensmittelpunkte unterstellen, weil Leute sich bei den offenen Grenzen des Schengen-Raums unentdeckbar fühlen. Unser Motto war schon immer, dass Deutschland längst nicht nur wegen der Steuern unattraktiv ist – und das ein paar Monate im Sommer und vielleicht ein Besuch zu Weihnachten völlig ausreichen. Aber das ist viel Material für einen anderen Artikel…

 

Steuerhinterziehung ist in Deutschland eine Straftat. Um §370 der Abgabenordnung zu zitieren:

 

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,

2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder

3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,

2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,

3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,

4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,

5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder

6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

 

Konkret sollte man also besonders bei Nutzung von Briefkastenfirmen und Umsatzsteuerhinterziehung im Handel aufpassen. Der Verstoß gegen die Meldepflicht für Auslandsbeteiligungen innerhalb eines Monats ist hingegen nur eine Ordnungswidrigkeit. Bei dem Aufbau von Substanz einer Auslandsfirma sollte aber auf jeden Fall gemeldet werden weil nur so der Verdacht der schweren Steuerhinterziehung ausgeräumt werden kann.

In der Praxis neigt das Steuerstrafrecht zu den folgenden Strafen. Immer müssen natürlich Steuern entsprechend verzinst nachgezahlt werden:

  • Bis 50.000€: Geldstrafe
  • Bis 100.000€: Geldstrafe und Freiheitsstrafe 2 Jahre auf Bewährung
  • Bis 1 Million €: Freiheitsstrafe 2-5 Jahre, je nach Schwere und Summe zur Bewährung
  • Ab 1 Million €: Freiheitsstrafe 2-10 Jahre, Bewährung unwahrscheinlich

 

Der ehemalige Bayern-Manager Uli Hoeneß erhielt nach einer ungültigen Selbstanzeige für eine Steuerschuld von 28,5 Millionen € etwa eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten, wurde aber bereits nach 6 Monaten in den offenen Vollzug entlassen und nach weiteren 2 Jahren vorzeitig auf Bewährung entlassen. Mildernd wirkte sich eine komplette Nachzahlung der Steuerschuld aus. Auch der ehemalige Post-Chef Klaus Zumwinkel kam mit einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung für 1,2 Millionen € Steuerhinterziehung eher glimpflich davon.

Die Selbstanzeige ist übrigens nur dann straffrei, wenn die Finanzbehörden keinerlei Kenntnis vom Sachverhalt haben und dieser vollständig und rechtzeitig dargestellt wird. Ab 25,000€ ergibt sich eine Straffreiheit nur mit prozentualen Zuschlägen auf die Steuerschuld, die 20% ab einer Million € betragen.

Keine Frage – Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Wir sind aber auch der Meinung das die Steuerbetrüger eigentlich ganz woanders zu sitzen, wir wir in einen zukünftigen Artikel erläutern werden:

“Ein Steuerbetrüger ist jemand, der vorgibt, Anspruch auf das Geld eines Anderen zu haben”

 

Fall 1: Funktionsverlagerung bzw. -verdopplung

Kommen wir nun zu dem praktisch relevanten Sachverhalten, vor denen Steuerberater gerne warnen. Den Anfang macht die Funktionsverlagerung oder eher Funktionsverdopplung. Dass wir auf dem Staatenlos-Blog bisher darüber nicht geschrieben haben erklärt sich aus der hier sogar gesetzlich verankerten Bagatellgrenze. Funktionsverlagerung im eigentlichen Sinne ist für den typischen Staatenlos-Leser einfach nicht relevant. Um das zu erklären müssen wir natürlich etwas ausholen:

Unter Funktionsverlagerung versteht man im Steuerrecht Deutschlands die Verlagerung betrieblicher Funktionen zu ausländischen Tochterunternehmen oder Betriebsstätten. Die steuerliche Behandlung von Funktionsverlagerungen wurde erstmals mit der Unternehmenssteuerreform 2008 explizit gesetzlich geregelt. Die Umsetzung erfolgte durch eine Reform des Außensteuergesetzes. Einzelheiten sind in der Funktionsverlagerungsverordnung (FVerlV) geregelt. Verlagerte Funktionen im Sinne des Außensteuergesetzes sind einer Gesamtbewertung zu unterziehen, so dass das ihnen innewohnende gesamte Gewinnpotenzial in Deutschland besteuert werden kann.

Wir wollen uns an dieser Stelle nicht mit Einzelheiten aufhalten, die an anderer Stelle nachgelesen werden können. Relevant für den typischen Staatenlos-Leser ist das es eine Funktionsverlagerung im eigentlichen Sinne für ihn eigentlich kaum gibt. Es kommt allenfalls zu einer Funktionsverdopplung.

Funktionsverlagerung würde bedeuten, dass ein Geschäftsbereich aus einem laufenden Unternehmen in Deutschland herausgetrennt und ins Ausland verlagert wird. Dies passiert aber allenfalls ab mittelständischen Unternehmen einer Größenordnung mit Millionenumsatz. Für Selbstständige und Online-Unternehmer geht es nicht darum einen gewissen Geschäftsbereich ins Ausland zu verschieben, sondern gleich ihr ganzes Unternehmen im Ausland anzusiedeln.

Bei der rechtmäßigen Gründung einer Auslandsgesellschaft mit wirtschaftlicher Substanz (also Betriebsstätte und lokale Geschäftsführung) spricht man deshalb nicht von Funktionsverlagerung, sondern von Funktionsverdopplung. Die Funktionsverlagerung schränkt beim übertragenden Unternehmen die bisherige Funktion bis hin zur vollständigen Aufgabe ein. Eine Funktionsverdopplung liegt dagegen vor, „wenn ohne Einschränkung der bisherigen Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ein nahestehendes Unternehmen eine beim erstgenannten Unternehmen ausgeübte Funktion unter Nutzung von dessen Wirtschaftsgütern und Vorteilen aufnimmt. Da die Behandlung der Funktionsverdopplung als Funktionsverlagerung zu einer möglichen Doppelbesteuerung führt und damit europarechtlich nicht zu halten ist, gibt es hier große Vorteile.

Denn genau eine Funktionsverdopplung passiert bei einer Auslandsgründung mit Substanz. Das bisherige Unternehmen besteht in Form eines Einzelunternehmens, Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft weiter. Und dem Finanzamt kommt es sicher spanisch vor, wenn ein profitables Unternehmen von heute auf morgen keinen Umsatz mehr erzielt.

 

Deshalb denken sich die meisten Unternehmer zurecht, dass sie ihre deutsche Firma langsam “runterfahren” und liquidieren während sie die Geschäftstätigkeit im Ausland langsam “hochfahren”. Der Umsatz in Deutschland sinkt also regelmäßig, während er im Ausland steigt.

 

Um diesen logischen Missbrauch zu vermeiden hat der Gesetzgeber einen Tatbestand der “sukzessiven Verlagerung” eingeführt. Wenn innerhalb von 5 Jahren die das Geschäft auf die neue Auslandsfirma übertragen wird, spricht man trotzdem von Funktionsverlagerung und muss die Übertragung entsprechend versteuern.

Hier kommt jetzt aber die Bagatellgrenze ins Spiel: Gemäß Rz. 49 der VWG-Funktionsverlagerung ist eine Funktionseinschränkung nicht mehr nur geringfügig, sondern erheblich, „wenn der Umsatz aus der Funktion, den das ursprünglich tätige Unternehmen i. S. d. § 1 Absatz 2 FVerlV im letzten vollen Wirtschaftsjahr vor der Funktionsänderung erzielt hat, innerhalb des 5-jahreszeitraums i. S. d. § 1 Absatz 6 FVerlV in einem Wirtschaftsjahr um mehr als 1.000.000 EUR absinkt.“ Ein Überschreiten dieser Bagatellgrenze in einem Wirtschaftsjahr führt ungeachtet der Umsatzentwicklung in vorangehenden oder nachfolgenden Wirtschaftsjahren zwingend zur Annahme einer Funktionsverlagerung.

Praktisch heruntergebrochen ist eine Funktionsverdopplung also nur dann eine steuerschädliche Funktionsverlagerung, wenn der Umsatz in dem weiterbestehenden deutschen Unternehmen in einem 5-Jahres-Zeitraum in einem Jahr mehr als 1 Million € sinkt. Jegliche Umsatzverlagerung unter 1 Million € fällt unter die Bagatellgrenze.

Damit ist praktisch jeder Auslandsgründer, der im Altgeschäft weniger als 1 Million verdient, von der Funktionsverlagerung ausgenommen. Er kann seine bestehende Firma praktisch sofort liquidieren und am neuen Standort weiterbetreiben. In der Praxis macht es aber Sinn diesen Vorgang über einige Monate zu strecken und etwa Waren noch abzuverkaufen. Diese müssten sonst nämlich tatsächlich abgekauft werden (dies gilt auch für evtl in der Firma steckende IP, etc)

Dieser Punkt ist ebenfalls nochmals deutlich zu machen: die Funktionsverlagerung bezieht sich nur auf bisher bestehendes Geschäft. Sämtlichen neuen Produkte oder Dienstleistungen oder die alten in neuen Kundenländern sind Neugeschäft und fallen damit nicht unter die Funktionsverlagerung. Lediglich das bisher bestehende Geschäft kann theoretisch bei der Verlagerung besteuert werden, wird es praktisch aber erst ab Summen über einer Million €. Und der typische Staatenlos-Leser, der eine Auslandsgesellschaft mit Substanz gründet, erstreckt sich eben im Bereich von nur 100.000€ bis 1 Million €. Damit ist die Funktionsverlagerung in unserer Beratungspraxis relativ selten.

 

Selbst bei Umsätzen über 1 Million, die etwa im Handel schnell vorkommen, kann man hier zumindest teilweise Steuern sparen. Man muss lediglich die deutsche Firma weiterbetreiben und darf in den nächsten 5 Jahren keinen Umsatzrückgang von über 1 Million Euro pro Jahr haben. Wie viel Umsatz zusätzlich im Ausland gemacht wird spielt dabei keine Rolle. Ein Umsatzanstieg über 1 Million ist also nicht schädlich. Nach Erreichen der 5-Jahres-Frist kann die deutsche Firma theoretisch auf Null heruntergefahren und liquidiert werden.

 

Dass Steuerberater selbst bei kleinen Unternehmern vor der “Funktionsverlagerung” warnen mag neben Unkenntnis vielleicht auch mit Profitgier zu tun haben. Dieses bei Großkonzernen äußerst komplexe Thema mündet nämlich in aufwändigen Bewertungen der zu verlagernden Funktion, bei denen Steuerberater oft prozentual am begutachteten Wert beteiligt werden. Diesen Hintergrund sollte man zumindest kennen wenn der Steuerberater vor Funktionsverlagerung warnt.

 

Fall 2: Entstrickung von Einzelunternehmen und Personengesellschaften

Bei der Entstrickung von Einzelunternehmen und Personengesellschaften sieht es ähnlich wie bei der Funktionsverlagerung aus. Im Prinzip ist der Sachverhalt sogar sehr ähnlich. Statt seinen Wohnsitz zu behalten und die Firma zu verlagern wird hier nur umgekehrt der Wohnsitz verlagert und die Firma behalten. Dies betrifft auch Auslandsfirmen aller Art. Eine vorige Funktionsverdopplung und Liquidierung in Deutschland schützt also nicht vor der Entstrickung.

Die Entstrickungsbesteuerung ist praktisch mit der Wegzugsbesteuerung gleichzusetzen, über die an anderer Stelle schon geschrieben wurde. Ähnlich wie die Wegzugsbesteuerung kann bei Wegzug innerhalb der EU oder bei Härtefällen außerhalb der EU eine Stundung beantragt werden. Im Gegensatz zur Wegzugsbesteuerung, bei der selbst UGs und GmbHs mit wenig Gewinn aufpassen müssen, hat die Entstrickung aber wesentlich großzügigere Grenzen.

Eine Bagatellgrenze ist zwar nicht öffentlich bekannt, lässt sich logisch aber leicht erklären. Schließlich sind Kapitalgesellschaften bilanzierungspflichtig – Personengesellschafter jedoch erst ab einer gewissen Umsatzschwelle.

  • Freiberufler: generell von der Bilanzierungspflicht befreit
  • Einzelunternehmer: ab 600k € Umsatz oder 60k € Gewinn
  • Personengesellschaften (OHG, KG): Bilanzpflichtig, aber nicht zu veröffentlichen

 

Erst eine Bilanzierung und dafür nötige doppelte Buchführung ermöglicht es den tatsächlichen Wert einer Firma ordentlich abschätzen zu können. Eine Einnahmen-Überschuss-Rechnung tut dies nicht.

 

Laut unsereren Erfahrungen aus 5 Jahren wurde noch nie eine Entstrickung festgesetzt, wenn der Unternehmer nicht bilanzpflichtig war.

 

Im Dienstleistungsbereich ist eine Entstrickung selbst bei höheren Umsatz ohnehin unwahrscheinlich. Das liegt daran, dass Dienstleistungen generall an die Person gebunden sind, die sie ausübt. Die Entstrickungsbesteuerung richtet sich nach dem Wert, den ein Fremder Dritter für die Firma zahlen würde. Wenn das Gewinnpotential aber ausschließlich am Firmeneigentümer liegt statt an der Marke, Geistigen Eigentum oder Maschinen, so ist ein Verkauf einer funktionsfähigen Firma an fremde Dritte schlicht nicht möglich.

Unserer Erfahrung nach trifft die Entstrickungs-Besteuerung allenfalls E-Commerce-Unternehmer, da diese als Einzelunternehmer schnell bilanzpflichtig werden. Im Regelfall ist die Entstrickungsbesteuerung aber sehr selten, da die Firmenbesitzer aus steuerlichen Motiven bereits fast immer Kapitalgesellschaften besitzen und damit der Wegzugsbesteuerung unterliegen. Und die kann tatsächlich bereits ab kleinen Gewinnsummen bedenklich werden.

 

Fall 3: “Floating Income” bei erweitert beschränkter Steuerpflicht

Das Abschreckungsgesetz schlechthin in Deutschland ist die erweitert beschränkte Steuerpflicht. Gerne zitieren Steuerberater dieses Gesetz, wenn ihre Klienten Auswanderungspläne verlauten lassen. Was sich in der Theorie so schlimm anhört, ist es in der Praxis aber nicht wirklich. Deshalb wollen wir uns auch nur grob auf ihre wichtigsten Bestandteile beschränken. Denn selbst wenn die erweitert beschränkte Steuerpflicht ausgelöst wird (relativ oft) bleiben die Rechtsfolgen doch minimal.

Die erweitert beschränkte Steuerpflicht greift für natürliche Personen, die

  • in ein Niedrigsteuerland ausgewandert sind und
  • in den letzten 10 Jahren vor der Verlegung ihres Wohnsitzes insgesamt 5 Jahre als deutsche Staatsbürger unbeschränkt steuerpflichtig waren und
  • weiterhin im Inland (Deutschland) wesentliche wirtschaftliche Interessen haben.
  • Liegt eine erweitert beschränkte Steuerpflicht vor, dann unterliegen alle nicht ausländischen Einkünfte der deutschen Besteuerung

 

Liegt eine erweitert beschränkte Steuerpflicht vor, dann unterliegen alle nicht ausländischen Einkünfte der deutschen Besteuerung

Ausgelöst wird die erweitert beschränkte Steuerpflicht tatsächlich sehr oft, da Niedrigsteuerländer großzügig (in dem Gebiet ist die Einkommenssteuer einer unverheirateten Person bei einem Einkommen von 77.000 EUR um 1/3 niedriger ist als die deutsche Einkommenssteuer) und wirtschaftliche Interessen (Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft oder 25% KG; ODER inländisches Einkommen mehr als 30% Gesamteinkünfte oder 62.000€; ODER inländisches Vermögen mehr als 30% des Gesamtvermögens oder 154.000€) sehr niedrig definiert sind. Vermieteter Immobilienbesitz oder Beteiligungen in Deutschland führt also praktisch bereits immer zur erweitert beschränkten Steuerpflicht.

Warum sind die Rechtsfolgen aber nun nur minimal? Erstens gibt es hier wieder eine gesetzlich verankerte Bagetellgrenze in Höhe von 16.500€. Erst wenn die erweitert beschränkt steuerpflichtigen inländischen Einkünfte 16.500€ übersteigen würden, greift die inländische Besteuerung. Diese Bagetellgrenze ist relativ gering, aber das eigentlich entscheidende ist die Definition “inländische Einkünfte”. “Inländische Einkünfte” ist nämlich nicht zwingend Einkommen von deutschen Kunden.

Praktisch muss fast niemand weitere 10 Jahre in Deutschland versteuern, weil er trotz deutscher Kunden keine “inländischen Einkünfte” im Sinne der Abgabenordnung hat. Schauen wir uns dazu die Unterscheidung zwischen inländischen und ausländischen Einkünften im §34d EStG an (2. und 3. Reichen für unsere Zwecke):

Ausländische Einkünfte im Sinne des § 34c Absatz 1 bis 5 sind

2.
Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§§ 15 und 16),
a)
die durch eine in einem ausländischen Staat belegene Betriebsstätte oder durch einen in einem ausländischen Staat tätigen ständigen Vertreter erzielt werden, und Einkünfte der in den Nummern 3, 4, 6, 7 und 8 Buchstabe c genannten Art, soweit sie zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören,
b)
die aus Bürgschafts- und Avalprovisionen erzielt werden, wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz in einem ausländischen Staat hat, oder
c)
die durch den Betrieb eigener oder gecharterter Seeschiffe oder Luftfahrzeuge aus Beförderungen zwischen ausländischen oder von ausländischen zu inländischen Häfen erzielt werden, einschließlich der Einkünfte aus anderen mit solchen Beförderungen zusammenhängenden, sich auf das Ausland erstreckenden Beförderungsleistungen;
3.
Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 18), die in einem ausländischen Staat ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist, und Einkünfte der in den Nummern 4, 6, 7 und 8 Buchstabe c genannten Art, soweit sie zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit gehören;

 

Sobald es also eine Betriebsstätte im Land des Firmensitzes gibt oder ein ständiger Vertreter dort besteht gilt Einkommen von deutschen Kunden dennoch als Auslandseinkunft. Ein kleines Büro oder ein angestellter Mitarbeiter reichen also aus um die Rechtsfolgen der erweitert beschränkten Steuerpflicht zu minimieren. In der Regel wird man sogar mit der Argumentation Erfolg haben, selbst als Geschäftsführer eine Vertreter-Betriebsstätte im in Frage kommenden Staat auszulösen. Sich andererseits eine Verbrauchsrechnung auf den Firmennamen zu organisieren ist indes keine große Belastung, sondern viel mehr heutzutage durch wirtschaftliche Substanzanforderungen oder zur Nutzung von Plattformen wie Amazon oder Paypal notwendig.

Überhaupt kann die erweitert beschränkte Steuerpflicht nur Personengesellschaften betreffen. Kapitalgesellschaften als separate juristische Personen werden von ihr ohnehin nicht erfasst. Relevant sind die obigen Ausführungen also vor allem für Unternehmer, die sich für amerikanische LLCs oder kanadische LPs interessieren. Und gerade in den USA – wir bieten dies an – kann eine Büroadresse mit Verbrauchsrechnung für eine LLC spielend leicht besorgt werden ohne steuerliche Nachteile auszulösen (bei Einkünften außerhalb der USA).

 

Wobei sich bei amerikanischen LLCs ohnehin die Frage stellt ob dies nötig ist. Denn generell neigt die deutsche Finanzverwaltung dazu LLCs wegen ihrer Haftungsbeschränkung als Kapitalgesellschaft zu qualifizieren.

 

Gefährlich werden kann die erweitert beschränkte Steuerpflicht also nur bei sogenannten “floating income”, das einer natürlichen Person ohne Betriebsstätte und ständigen Vertreter zuzurechnen ist. Dies ist theoretisch bei Privatpersonen mit deutschen Kunden ohne Gewerbe möglich, in der Praxis aber, vor allem bei Einkommen über der Bagatellgrenze, sehr selten.

 

Staatenlos.ch hat in 5 Jahren noch keinen einzigen Fall erlebt, bei der die erweitert beschränkte Steuerpflicht eine tatsächliche Steuerzahlung mit sich brachte.

 

Die einzige Ausnahme besteht in der tatsächlich relevanten Ausweitung der Erbschaftssteuerpflicht. Erblasser müssen ihr Erbe trotz Wegzug ins Ausland weiterhin für 10 Jahre in Deutschland versteuern, wenn sie unter die erweitert beschränkte Steuerpflicht fallen.

Einen Ausweg gibt es aber: die erweitert beschränkte Steuerpflicht bezieht sich rein auf deutsche Staatsbürger. Eine rechtzeitige Aufgabe der Staatsbürgerschaft vor dem Tod lässt also die Erbschaftssteuer zumindest in Deutschland verfallen. Wir haben tatsächlich schon einmal so einen Fall betreut. Der gute Mann starb wenige Wochen nach Erhalt seiner Staatsbürgerschaft von Dominica (ca. 120.000$ Spende), die den automatischen Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft zur Folge hatte.

 

Fall 4: Anteilige Steuerpflicht auf Gehälter nach Arbeitstagen in Deutschland

Zu guter Letzt wollen wir uns noch ein für viele besonders nervenauftreibendes Stück der deutschen Steuergesetzgebung anschauen: die anteilige Steuerpflicht auf Gehaltseinkommen, das nicht von anderen Ländern bereits besteuert wurde. Zumindest laut Interpretation des §50 ESTG diverser Steuerberater.

 

Dass Gehaltseinkommen von deutschen Kapitalgesellschaften der beschränkten Steuerpflicht unterliegt ist kein Geheimnis. Angeblich sollen jedoch auch Gehaltszahlungen von ausländischen Kapitalgesellschaften der deutschen Besteuerung unterliegen, wenn sich der Gehaltsempfänger auf deutschen Boden aufhält und das Gehalt nicht im im Sitzland der Gesellschaft bereits versteuert wurde.

 

Im Regelfall ist dies tatsächlich der Fall. In jedem Land, in dem man Körperschaftssteuern zahlt, muss man in der Regel auch sein Gehalt beschränkt steuerpflichtig versteuern. Gerade in den für uns interessanten Ländern ist dies aber natürlich nicht der Fall. In Steueroasen gibt es nicht nur keine Körperschaftssteuer, sondern natürlich auch keine beschränkte Steuerpflicht auf die Zahlung eines Gehalts. Allerdings kann man sich hier auch sehr flexibel Dividenden ausschütten. Eine Gehaltszahlung ist also nicht wirklich nötig.

Das relevanteste Beispiel für diesen Sachverhalt ist aber Estland. Bei der estnischen OÜ besteht gegenwärtig die Umgehungsmöglichkeit eines steuerfreien Gehalts um die 20% nachgelagerte Besteuerung bei Dividendenausschüttung zu vermeiden. Dafür ist lediglich ein Wohnsitz außerhalb Estlands und aktive Wertschöpfung für die eigene Firma (statt nur geschäftsführenden Aufgaben) nötig. Bis Ende 2018 musste Gehalt immer auch als Geschäftsführergehalt ausgezahlt werden, was noch höher als Dividenden besteuert wird. Maximal konnte man 70% Mitarbeitergehalt zu 30% Geschäftsführergehalt auszahlen. Mittlerweile kann man sich jedoch selbst als Geschäftsführer 100% Mitarbeitergehalt auszahlen.

Wie lange das so bleibt ist hingegen fraglich. Wir rechnen mit einer baldigen Rücknahme und empfehlen Estland deshalb nur bedingt. Dennoch eignet es sich durch die relative Popularität sehr gut den Sachverhalt, um den es hier geht, zu illustrieren. Manch Steuerberater schließt aus §50 EStG nämlich eine beschränkte Steuerpflicht auf dieses Mitarbeitergehalt, weil es in Estland ja nicht besteuert wird.

Jeder Aufenthaltstag in Deutschland würde demnach zu einer anteiligen Besteuerung dieses Gehaltes führen. Wer sich als Perpetual Traveler ohne Wohnsitz also 3 Monate des Jahres in Deutschland aufhält, der würde einen knappen Viertel seines Estland-Gehalts in Deutschland versteuern müssen. Grundsätzlich könnte sich diese Regel sogar auf alle anderen möglichen Aufenthaltsländer erstrecken sofern es kein gegenteiliges Doppelbesteuerungsabkommen gibt.

Wir halten diese Interpretation aus mehreren Gründen für fehlgeleitet. Erstens bezieht sich das Gesetz nur auf “unselbstständige Arbeit”. Die Rechtsprechung im Fall der in diesem Sachverhalt üblichen Gesellschafter-Geschäftsführer-Firmen ist aber klar: Mehrheitsgesellschafter werden generell immer als selbstständig eingestuft. So wird auch das Gehalt von ihnen im Inland deshalb nicht mit Sozialabgaben belegt.

Zweitens gibt es auch in diesem Sachverhalt wieder eine Bagatellgrenze in Höhe von 10.000€ (vgl Anwendungserlass zur beschränkten Steuerpflicht, in dem dieser Sachverhalt übrigens auch nie auftaucht). Diese Bagatellgrenze berücksichtigt allein das Einkommen, das Deutschland steuerlich zustehen würde. Dieses würde drittens dadurch verringert werden, dass nicht Aufenthalts-, sondern nur reine Arbeitstage entscheidend sind. Dies ist im Zweifel zu belegen. Da man im Regelfall aber mindestens die Wochenenden rausrechnen kann werden aus zB 100 Aufenthaltstagen nur noch 70 Arbeitstage. Das bezahlte Gehalt für 70 Arbeitstage muss also nun höher als die Bagatellgrenze von 10.000€ sein um eine Vollstreckung auszulösen. Bei einem 8-Stunden-Tag muss dies also knapp 18€ die Stunde betragen.

Die Bagatellgrenze zu überschreiten ist also vor allem bei mehrmonatigen Aufenthalten in Deutschland gegeben. Es ist aber praktisch unmöglich zu beweisen, ob der Unternehmer auf “Heimaturlaub” tatsächlich gearbeitet oder sich nur zu Besuchszwecken in Deutschland aufgehalten hat. Wenn man diese Regelung kennt (und deshalb schreibe ich drüber) kann man sich also sein Gehalt pro Arbeitstag in Deutschland hochrechnen und sollte dabei schauen, dass man unter den 10.000€ bleibt.

 

Freilich ist dieser ganze Sachverhalt sehr hypothetisch. Denn wenn das Gehalt nicht der beschränkten Steuerpflicht im Sitzland unterliegt, hat man nur in der aktuellen Situation mit einer Estland OÜ Möglichkeiten überhaupt unter diese Interpretation zu fallen. Denn aus Steueroasen kann man sich flexibel Dividenden ausschütten und ist damit auf eine Gehaltszahlung gar nicht angewiesen.

 

Wenn Du also eine hast und Gehalt statt Dividenden beziehst, dann solltest Du zumindest kurz verstehen, womit es sich bei diesem Gesetz auf sich hat, vor allem wenn Du dich viel und auch zum Arbeiten in Deutschland aufhältst. Unserer Interpretation nach besteht jedoch überhaupt keine Gefahr: weil Du erstens als Gesellschafter-Geschäftsführer einer OÜ nicht unselbstständig bist und zweitens die Nachverfolgbarkeit dieser Gesetzesinterpretation praktisch Null ist, selbst wenn Du die Bagatellgrenze übertrittst.

 

Fazit

Die vorgestellten 4 Fälle – Funktionsverlagerung, Entstrickung, erweitert beschränkte Steuerpflicht und beschränkte Steuerpflicht auf nicht besteuertes Gehalt in Deutschland – haben eine unterschiedliche Relevanz, werden von Steuerberatern aber gern als Warnung vor Auslandskonstrukten benutzt. Als typischer Staatenlos-Leser musst Du diese Fremdwörter aber kaum fürchten und kannst gut informiert Deinem Steuerberater Paroli bieten.

Selbstverständlich geht es heutzutage nicht ohne Steuerberater oder zumindest Buchhalter. Auch wir sind auf Steuerberater in unserem Partnernetzwerk angewiesen um unseren Klienten den besten Service zu ermöglichen. Viele Steuerberater haben nur das Beste für ihre Kunden im Sinn, aber fühlen sich zu wenig kompetent bei zu viel Risiko bei der Beratung von Auslandskonstrukten. Deshalb ist es nur verständlich, dass sie bei diesen Themen schnell abblocken. Wir sind deshalb immer auf der Suche weitere kompetente Steuerberater und Steueranwälte in unser Netzwerk aufzunehmen, die bei diesen Themen nicht sofort panisch werden.

 

Steuerberater kennen sich zu 99% in Deutschland aus. Staatenlos.ch hingegen kennt sich zu 90% in jedem Land der Welt aus und hat lokale Partner, die die letzten 10% abdecken. Melde dich gerne für eine Beratung!

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