Skip to main content
search

Eine psychologische Perspektive von Verena Koch

Wir danken unserem Community-Mitglied Verena Koch für ihren tollen Gast-Artikel. Falls Du psychologische Unterstützung bei der Auswanderung brauchst, ist sie eine gute Ansprechpartnerin! Falls Du ähnlich fundierte Gast-Artikel auf dem Blog positionieren willst, kannst du dich auch gerne melden.

 

„Der Orts- und Kulturwechsel ist nur die äußere Veränderung, die innere psychische Reise weist weit zurück zu den Anfängen der Persönlichkeit und voraus auf die kreative Bildung einer neuen Identität und in eine vielversprechende Zukunft.“ – Wielant Machleidt

Der vorliegende Artikel dient der Information über psychologische Aspekte im Rahmen einer Emigration. Die Intention der Autorin ist, Auswanderungswillige und bereits Ausgewanderte zu einer für das Gelingen ihres Vorhabens hilfreichen Reflexion anzuregen.

Einleitung: Aktuelle Auswanderungstrends deutscher Staatsbürger und modernes Nomadentum

Während seit den 1950er Jahren über Jahrzehnte hinweg (mit Ausnahme von zwei Jahren) weniger Deutsche das Land verließen als zurückkehrten, ist seit 2004 eine negative Nettowanderung zu verzeichnen (Stastistisches Bundesamt 2022). Das bedeutet, dass mehr Deutsche das Land verlassen als zurückkehren.

2021 wanderten 64 000 deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in das Ausland ab. Im Vergleich zum Ausmaß der jährlichen Immigration nach Deutschland und in Bezug zur Gesamtbevölkerung handelt es sich nach quantitativen Gesichtspunkten um ein wenig bedeutendes Phänomen. Der Trend zur Auswanderung ist bei den Bundesbürgern jedoch eindeutig zu beobachten und betrifft insbesondere hochqualifizierte junge Menschen (German Emigration and Remigration Panel Study GERPS 2019).

Hauptzielländer deutscher Auswanderer waren 2021 wie in den Vorjahren die Schweiz, Österreich und die Vereinigten Staaten. 17 000 zogen in die Schweiz, 11 000 nach Österreich und 8 000 in die USA. Erwähnung findet in der Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 28.06.2022, dass gegenüber dem Zeitraum vor der Pandemie (2019) die Fortzüge Deutscher nach Paraguay (+900 Fortzüge) und Schweden (+700 Fortzüge) am stärksten zunahmen.

Klassische Konzepte des Auswanderns als einmaligem Geschehen aus oftmals existentiellen Gründen müssen bezüglich der Emigration aus wohlhabenden Ländern heute ergänzt werden. Migration wird häufiger zu einem Spiegelbild der zu gesellschaftlichen Leitbildern erhobenen Phänomene „Mobilität“ und „Flexibilität“. Mitunter ziehen Menschen berufsbedingt im Rahmen der Entsendung durch Arbeitgeber gleich mehrmals Kulturgrenzen überschreitend um. Auswanderung wird zunehmend zum Ausdruck eines Lebensstil-Phänomens (Dombrowski 2021). Ein Beispiel stellt die heterogene und wachsende Gruppe der digitalen Nomaden dar, bei der es sich in der Regel um junge Menschen handelt, die ortsunabhängig digitalen Tätigkeiten (wie Softwareentwicklung, Texten, Marketing, Datenanalyse, Sales Management) nachgehen (Heuermann 2022). Sie reisen häufig oder anhaltend und schreiben ihrer persönlichen Freiheit einen zentralen Stellenwert zu.

Überschneidungen bestehen mit der Gruppe der Perpetual Traveler, oftmals Investoren, die persönliche Freiheit ebenfalls als zentrales Motiv ihres Lebensstils hervorheben und „Go where you’re treated best“ als Leitsatz formulieren (Henderson 2021). Als Reisende nutzen sie Vorteile des Touristenstatus und gestalten ihr Leben nach der sog. Flaggentheorie, d.h. sie internationalisieren Besitztümer und schaffen verschiedene Bezugspunkte u.a. hinsichtlich Unternehmensgründungen, Staatsbürgerschaften und Wohnsitznahme.

Motive

In der klassischen Migrationsforschung wird zwischen Push- und Pull-Motiven unterschieden. Push-Faktoren sind diejenigen, die Menschen aus einem Land weg bewegen lassen; Pull-Faktoren sind solche, auf die Migranten sich in positiver Erwartung auf ein Zielland hin bewegen.

Gemäß einer Studie zur Auswanderung und Rückwanderung Deutscher (GERPS 2019) wurden von den 10.000 befragten Deutschen, die in das Ausland gezogen oder wieder zurückgekehrt waren, hauptsächlich berufliche Motive für die Auswanderung genannt. Weitere Gründe waren die Erwartung eines verbesserten Lebensstils, Familiengründung oder Partnerschaft und Unzufriedenheit mit den Verhältnissen in Deutschland. Meistens führen unterschiedliche Gründe und Bedingungen zur Auswanderung. Migrationsprozesse sind selten monokausal (Han 2005).

Die gleichen Motive wie bei Auswanderern finden sich bei Rückwanderern. Die Häufigkeit ihrer Nennung und somit ihre Bedeutung unterscheidet sich zwischen Aus- und Rückwanderern jedoch deutlich. Auch für Rückwanderer spielen berufliche Gründe eine zentrale Rolle, sie nennen aber beispielsweise häufiger als Auswanderer auch partnerschaftsbezogene und familiäre Gründe. Weitere für die Rückwanderung genannte Gründe sind Unzufriedenheit mit dem Leben im Ausland oder die Angabe einer von vornherein bestehenden Befristung des Auslandsaufenthaltes. Eine eher untergeordnete Rolle spielen bei den Rückwanderern wirtschaftliche Gründe wie erwartetes Einkommen bzw. erwarteter Lebensstandard (Studie International Mobil 2015).

Bei der Betrachtung von Auswanderungsmotiven sind neben der Kategorisierung äußerer Umstände psychologische Faktoren zu beachten. Unter denselben Umständen entscheiden sich schließlich nicht alle, die die Möglichkeit haben, zu einer Emigration (selektives Wanderungsverhalten). Für das Wanderungsverhalten sind demnach subjektive Faktoren der Wahrnehmung, Bewertung und Interpretation von Gegebenheiten entscheidend (Lüthke 1989).

Migration: Individuationsprozess, Kulturschock, neue Identität

Individuation im Sinne eines lebenslangen Prozesses der Selbstverwirklichung bedeutet, dass ein Mensch sich zu dem entwickelt, der er eigentlich ist. Die Einzigartigkeit seiner Anlagen und Möglichkeiten soll zum Ausdruck kommen, wofür wiederum Selbsterkenntnis und -akzeptanz wesentliche Voraussetzungen darstellen. Ein zentraler Aspekt der Individuation ist das Erreichen von Autonomie, d.h. ein Loslösen von Beziehungsobjekten und ein Zugewinn an Freiheiten. Entwicklungspsychologisch betrachtet haben Menschen zwei größere Individuationsprozesse zu bewältigen: Ab der Geburt (mit Verlassen des Uterus in die Familie) und in der Adoleszenz (mit Verlassen der Familie in die Gesellschaft). Hinzu kommen verschiedene biographisch relevante Entwicklungsaufgaben im Laufe der kindlichen Entwicklung, im Jugend- und Erwachsenenalter wie beispielsweise Berufswahl, Heirat und Geburt eigener Kinder (Havighurst 1948).

Bedeutsam für die Verselbständigung ist die schrittweise Loslösung von Primärobjekten, d.h. von den ersten wichtigen Bezugspersonen, meist Mutter und Vater. Mit zunehmender Individuation findet nicht nur eine Loslösung von Primärobjekten, sondern auch eine Hinwendung zu neuen Objekten statt: Zur Gesellschaft, zur Peer Group, zum Partner usw.

Die biographische Entwicklung kann symbolisch durchaus als Abfolge von Migrationen betrachtet werden, durch die der Mensch sich fortschreitend von seinen Primärobjekten entfernt (Grinberg und Grinberg 2016). Vice versa kann Migration mit einem dritten Individuationsschritt verglichen werden: Es findet eine Loslösung von der Kultur des Herkunftslandes (Sprache, Politik, Religion, Regeln des sozialen Miteinanders) und eine Bindung an neue Objekte im aufnehmenden Kulturraum statt. Dabei entsteht ein inneres Spannungsfeld aus dem eigenen Vertrauten und dem fremden Neuen, verbunden mit wechselnden – angenehmen wie unangenehmen – emotionalen Reaktionen wie Euphorie, Freude, existenziellen Ängsten, Wut und Trauer (Machleidt 2013).

Emotionale Reaktionen bei Akkulturationsprozessen durchlaufen typische Stadien (Oberg 1960). Zunächst durchleben Auswanderer die Honeymoon-Phase der Euphorie, in der problematische Aspekte wenig wahrgenommen werden und Erlebnishunger, Neugier, Faszination und Integrationsbemühen im Vordergrund stehen. Darauf folgt die Schock-Phase, („Kulturschock“), in der Anpassungsschwierigkeiten entstehen und Fragen der Existenzsicherung in den Vordergrund treten. Oftmals stellen sich Müdigkeit und Erschöpfung ein, möglicherweise auch Wut, ausgeprägte (Zukunfts-)Ängste und Traurigkeit. Aufgrund neuer Rollenzuschreibungen können gehäuft partnerschaftliche oder familiäre Konflikte entstehen. In dieser Phase „zwischen den Kulturen“ werden erhebliche psychische Verarbeitungsleistungen erbracht; es besteht ein erhöhtes Risiko für die Manifestation psychischer und psychosomatischer Störungen, wie depressiver Entwicklungen, Angststörungen und Traumatisierungen.

Intensität und Dauer des Kulturschocks differieren; eine besondere Vulnerabilität besteht bei vorbestehenden psychischen Erkrankungen bzw. prädisponierenden Persönlichkeitsanteilen. Auf die Schockphase folgt die Recovery-Phase (Erholung), die von Stabilisierung, Neu-Orientierung und zunehmendem Verständnis für die neue Kultur gekennzeichnet ist und in der neue soziale Bindungen entstehen. Darauf folgte die Phase der Anpassung (Adjustment), in der die Anpassungsleistungen und Integration zunehmend gelingen. Denk- und Handlungsmuster werden möglicherweise übernommen und ein Gefühl des Heimisch-Seins tritt ein.

Trauerprozess, Autonomie und Zugehörigkeit

Ein erfolgreiches Einleben in das neue kulturelle Umfeld setzt sowohl eine Selbstreflexion mit bewusstem Durchleben der Trauer um das Zurückgelassene als auch ein Bemühen um Neubeginn und Integration in den neuen Kontext voraus. Daraus entsteht eine neue, beide Kulturen integrierende Identität mit einer Mischung von alten und neuen Spielregeln und Gewohnheiten, die als gestärkte Identität erlebt wird (Machleidt 2013).

Nach Machleidt durchlaufen Migrationen eine typische Emotionslogik: Zunächst dominieren die Neugier und die Faszination des Neuen, gefolgt von der Angst vor dem fremden Unbekannten. Nach Bewältigung dieser Angst kommt es beim Akt der Migration zum Trennungsschmerz und anschließend zur Trauer.

Trauer ist auch bezogen auf Auswanderung vielgestaltig und höchst individuell; eine allgemeingültige Aussage über Zeitraum und emotionale Ausgestaltung ist nicht möglich. Trauer bedeutet im Migrationsprozess vor allem, die beim Loslösen von Gewohntem und Vertrautem auftretenden (auch schmerzhaften) Emotionen zu durchleben.

Dabei ist es sinnvoll, sich bewusst zu sein, welche Bindungen und Gewohnheiten man so lieb gewonnen hat, dass sie bleiben sollen.
Der Grundkonflikt der Autonomie und Zugehörigkeit ist von Auswanderern in besonderer Weise zu bewältigen. Agnes Justen-Horsten, Psychotherapeutin mit Beratungsangebot für berufsbedingt international mobile Menschen, formuliert „(…) dass es notwendig ist, sich in der Fremde der eigenen Wurzeln bewusst zu werden und sie zu pflegen, damit die „Flügel“ wachsen können, die ein offenes Zugehen auf und sich Bereichern lassen durch das Fremde ermöglichen“. Menschen, die berufsbedingt häufig Kulturgrenzen überschreitend umziehen, würden ein Mehr an Fähigkeiten gewinnen, offen auf das Fremde zugehen zu können, wenn sie sich erlaubten, eigene Kontinuitäten zu pflegen.

Psychologische Parameter erfolgreicher Auswanderung

Wohlüberlegte, bei Paaren gemeinsame Entscheidung

Hinsichtlich der Vorbereitungen einer Auswanderung gilt es neben äußeren organisatorischen Aspekten insbesondere die eigenen Beweggründe zu reflektieren und die Entscheidung zur Auswanderung aus einer Überzeugung der Freiwilligkeit und Wohlüberlegtheit heraus zu treffen (Justen-Horsten 2022). Besteht im Vorfeld eine Ambivalenz, geht diese mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einher, Anpassungsleistungen im neuen Kulturraum schwerer zu bewerkstelligen. Bei Paaren ist üblicherweise einer der Partner entschlossener als der andere. Ein offener Austausch über Bedürfnisse mit Aushandeln von Kompromissen im Sinne der Entwicklung tragfähiger gemeinsamer Entscheidungsprozesse ist von besonderer Bedeutung. Werden die Interessen beider nicht gleichrangig behandelt, entstehen Belastungen in der Partnerschaft, die auch den späteren Akkulturationsprozess im Zielland erschweren. Dass beide Partner hinter der Entscheidung zur Auswanderung stehen, stellt einen relevanten prognostischen Faktor für das Gelingen des Vorhabens dar (Richardson 1974).

Sich möglicher (emotionaler) Turbulenzen bewusst sein

Die Bewusstheit darüber, dass zu einem Neuanfang neben Chancen und Möglichkeiten gleichzeitig auch Herausforderungen (u.a. emotionaler Natur) gehören, hilft, aufkommenden Schwierigkeiten weniger unvorbereitet und mit einer höheren Erwartung der Handhabbarkeit entgegenzutreten. Sich eigene erfolgreiche Bewältigungsstrategien in früheren Krisen bewusst zu machen, erhöht in unerwarteten und unüberschaubar wirkenden Situationen die Resilienz.

Pull-Motive

Hinsichtlich individueller Beweggründe zur Auswanderung erhöhen solche, die sich an Chancen und Möglichkeiten im neuen kulturellen Umfeld orientieren (und weniger an Vergangenem, negativ Empfundenem im Herkunftsland), die Wahrscheinlichkeit, dass eine Auswanderung gelingt.

Abschied nehmen und Kontakte halten

Freundschaften, die bleiben sollen, bedürfen in der Ferne aktiver Pflege. Beim Abschied nehmen kann bereits eine Vereinbarung getroffen werden, wie der Kontakt künftig gestaltet wird und eventuell auch wann, wie und wo ein Wiedersehen stattfindet.

Persönliche Ressourcen mitnehmen

Freizeitaktivitäten und Interessen, die im Herkunftsland für Wohlbefinden und Freude gesorgt haben, können vor der Abreise bewusst reflektiert werden. Möglicherweise können sie im Zielland fortgeführt werden. Wenn nicht, können neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung erschlossen werden.

Kontakte knüpfen

Durch Kontakte zu Menschen, die bereits vor Ort leben, kann bereits im Vorfeld einer Auswanderung eine hilfreiche Brücke in die Fremde geschlagen werden. Sinnvoll ist die bewusste Auseinandersetzung mit der Frage, welche Art von Kontakten man knüpfen möchte, beispielsweise zu anderen Expats, zu Menschen mit ähnlichen Interessen oder in ähnlicher familiärer Konstellation (z.B. Eltern). Vor Ort gehört schließlich auch der behutsame Aufbau von Bekanntschaften mit Locals dazu.

Die eigene Erwartungshaltung an die Tiefe neuer Bekanntschaften kann gegebenenfalls geprüft werden. Beim Aufbau neuer Freundschaften handelt es sich um ein prozesshaftes Geschehen, das Zeit braucht; anfänglich ist der Aspekt der Geselligkeit relevanter als Tiefgründigkeit.

Förderliche Persönlichkeitsmerkmale

Wer mit kulturell bedingten Unterschieden, die aufgrund des eigenen kulturellen und persönlichen Hintergrundes widersprüchlich oder gar inakzeptabel erscheinen, gelassen und nicht-wertend umgehen kann (d.h. ambiguitätstolerant ist), wird sich leichter in ein neues Umfeld integrieren. Weiterhin stellen Neugier, Zuversicht und Offenheit für neue Kontakte positive Prädiktoren für eine erfolgreiche Auswanderung dar.

Auf das Neue zugehen und Inseln des persönlichen Rückzugs schaffen

Zur erfolgreichen Integration gehört eine behutsame, schrittweise Annäherung an das neue kulturelle Umfeld. Gleichzeitig braucht es Räume, diese Schritte auch zu verarbeiten. Sie können im Zielland bewusst eingerichtet werden, z.B. als reale Räume zu Hause oder Hide Aways (Wellness, Retreat, Wochenendausflug). Dazu gehört in einer Paar- oder Familienkonstellation auch, Rückzugswünsche Einzelner zu respektieren.

Bewusster Umgang mit Emotionen

Insbesondere nach der ersten Phase der Euphorie können im Rahmen eines „Kulturschocks“ (s.o.) auch emotionale Schwankungen auftreten, die bei großen Lebensereignissen wie einer Auswanderung völlig normal sind. Dabei kann es sich beispielsweise um Verlustschmerz, Traurigkeit, Ängste, Wut und Überforderungsempfinden handeln. Emotionen mittels übermäßiger Rationalisierung oder Betäubung durch Suchtmittel o.ä. vermeiden zu wollen, ist langfristig nicht hilfreich – Handlungsimpulsen im Rahmen von diffusen Bauchgefühlen andersherum „kopflos“ zu folgen ebenfalls nicht. Zu einem gesunden Umgang mit Emotionen gehören Wahrnehmung und Reflexion. Oftmals kann ein Austausch mit Freunden für Entlastung sorgen.

Bei Bedarf Hilfe annehmen

In der Integrationsphase einer Auswanderung besteht ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von psychischen Erkrankungen. Wer depressive oder andere Symptome psychischer Belastung bei sich wahrnimmt oder vermutet, hat in Zeiten zunehmender Digitalisierung auch als Auswanderer viele Möglichkeiten professionelle Hilfe beispielsweise in Form von Online-Beratung oder -Therapie wahrzunehmen.

Bereitschaft zur persönlichen Weiterentwicklung

Eine gelungene Auswanderung erfordert immer auch ein inneres Wachstum, das entlang der Grenzen der eigenen Persönlichkeitsentwicklung stattfindet. Bei Migration handelt es sich um einen komplexen Loslöse- und Bindungsprozess, der besondere psychische Anpassungsleistungen verlangt. Eine wesentliche Grundlage dafür stellt die eigene Persönlichkeit dar. Es wird schwer gelingen, eigenen entwicklungsfähigen Eigenheiten durch einen Ortswechsel auszuweichen. Wer beispielsweise in Zorn und Frustration vor sich wiederholenden negativen Beziehungserfahrungen flüchtet, wird diesen aufgrund eigener Muster des Denkens, Fühlens und Handelns mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem neuen Umfeld wieder begegnen. Insofern ist Mut gefragt, sich auch mit möglicherweise problematischen Persönlichkeitsanteilen auseinanderzusetzen.

Hindernisse für den Erfolg der Auswanderung

Idealisierung und Entwertung

Hinderlich wirken sich auf die Integration in ein neues kulturelles Umfeld eine Idealisierung des Herkunftslandes und Entwertung des neuen Umfeldes aus – sowie andersherum eine Entwertung des Herkunftslandes und Idealisierung des aufnehmenden Landes. Derartige Bewertungen mögen als psychische Bewältigungsversuche (sog. Abwehr) einen vordergründigen Schutz vor Ängsten oder anderen unangenehmen inneren Dynamiken darstellen. Sie bergen mittel- und langfristig jedoch erhebliches Frustrationspotenzial.

Übermäßige emotionale Bindung an das Herkunftsland

Risikofaktoren hinsichtlich problematischer Migrationsprozesse stellen eine zu enge emotionale Bindung an das alte Umfeld (die sich in starkem Heimweh äußern kann), das fehlende Einverständnis der Eltern und Schuldgefühle gegenüber den im Herkunftsland Verbliebenen dar (Richardson 1974).

Überwiegen von Push-Faktoren

Bei problematischen Abläufen von Auswanderungsprozessen sind überwiegend negative „Push“-Motive maßgeblich für die Auswanderungsentscheidung (Lüthke 1989). Oftmals sind damit Emotionen wie Zorn und Enttäuschung verbunden, die, wenn sie im Vordergrund des emotionalen Erlebens stehen, dem Gelingen des komplexen Integrationsprozesses nicht zuträglich sind.

Fazit

Auswanderung als Abenteuer und Neuanfang, als Möglichkeit der Selbstverwirklichung und als Schatz an bereichernden Erfahrungen bietet eine unvergleichliche Chance des persönlichen Wachstums. Gleichzeitig bedeutet Auswanderung ein durchaus großes und einschneidendes Lebensereignis. Wer den Mut aufbringt, sich dafür zu entscheiden, stellt sich auch ganz besonderen Herausforderungen, die psychische Verarbeitungsprozesse erfordern. Diese betreffen Loslöse- und Bindungsprozesse und Identitätsfragen. Auswanderung kann phasenweise, insbesondere nach dem eigentlichen Migrationsschritt, ein hochemotionales Geschehen bedeuten. Auswanderungswilligen und bereits Ausgewanderten stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, ihre Resilienz zu stärken, ihre Lebenszufriedenheit zu erhöhen und damit das Gelingen der Auswanderung zu fördern.

Es gilt, den Blick bei allen äußeren Zielen und neuen Eindrücken auch mutig nach innen zu richten und sich selbst – mental und emotional – in selbstfürsorglicher Weise zu begegnen. Eine besondere Bedeutung hat auch das Miteinander: Innerhalb der mit- wandernden Familie, in Form von Kontaktpflege mit Familie und Freunden im Herkunftsland, mit Gleichgesinnten innerhalb der Expat Community und nicht zuletzt in Form von neu entstehenden Bindungen im Zielland.

Literaturverzeichnis

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB). German Emigration and Remigration Panel Study GERPS. 2019. https://www.bib.bund.de/Publikation/2019/pdf/German- Emigration-and-Remigration-Panel-Study-GERPS.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Stand 09.12.2022).

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB). International Mobil. Motive, Rahmenbedingungen und Folgen der Aus- und Rückwanderung deutscher Staatsbürger. 2015. https://www.bib.bund.de/Publikation/2015/pdf/International-Mobil-Motive- Rahmenbedingungen-und-Folgen.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Stand 10.12.2022).

DESTATIS (Statistisches Bundesamt). Pressemitteilung Nr. 268 vom 28. Juni 2022. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/06/PD22_268_12411.ht ml (Stand 09.12.2022).

Dombrowski, Hans-Ulrich (2021). Deutsche wandern aus. 1. Edition. Books on Demand, Norderstedt.

Grinberg, León. Grinberg, Rebeca (2016). Psychoanalyse der Migration und des Exils (Bibliothek der Psychoanalyse). 2. Auflage. Psychosozial-Verlag Gießen.

Han, Petrus (2005). Soziologie der Migration. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft Stuttgart.

Havighurst, R. J. (1948). Developmental tasks and education. The University of Chicago Press.

Henderson, Andrew (2021). Nomad Capitalist. Reclaim Your Freedom with Offshore Companies, Dual Citizenship, Foreign Banks, and Overseas Investments. 2. Auflage. Independently published.

Heuermann, Christoph (2022). 9 spannende Fragen (und Antworten) zu Digitalen Nomaden. https://staatenlos.ch/geld-ins-ausland-schaffen/9-spannende-fragen-zu- digitalen-nomaden/ (Stand 11.12.2022).

Justen-Horsten, Agnes (2022). On the Move. Ein psychologischer Wegbegleiter für das Leben und Arbeiten im Ausland. PDF E-Book. Originalausgabe. Psychosozial-Verlag, Gießen.

Justen-Horsten, Agnes. Von Lust und Last des unsteten Lebens. Psychologische Aspekte von Mobilität. http://www.justen-horsten.de/Beschreibung_OTM.pdf (Stand 09.12.2022).

Lüthke, Folkert (1989). Psychologie der Auswanderung. Deutscher Studienverlag Weinheim.

Machleidt, Wielant (2013). Migration, Kultur und psychische Gesundheit: Dem Fremden begegnen. Kindle Edition.

Oberg, Kalervo (1960). Cultural shock: adjustment to new cultural enviroments. Practical Anthropology, 7(1), S. 177-182. Reprint in curare 29(2006)2+3. VWB Verlag für Wissenschaft und Bildung.

Richardson, Alan (1974). British Immigrants and Australia. A Psycho-social Inquiry. Australian National National University Press, Canberra.

Die Autorin, Verena Koch (Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie) hat Deutschland verlassen und erkundet lateinamerikanische Länder mit open end. Sie führt eine Online-Praxis für psychologische Beratung.

www.verenakoch.com | [email protected]

Dir hat unser Blogartikel gefallen?

Unterstütze uns mit einem Erwerb unserer Produkte und Dienstleistungen. Oder baue Dir ein passives Einkommen mit ihrer Weiterempfehlung als Affiliate auf! Und vergiss nicht auf Christophs Reiseblog christoph.today vorbei zu schauen!

Lies Dir weitere Blogartikel durch:

Filter

ALLE BLOGARTIKELAUSWANDERNINVESTMENTS

Moderne DDR: Vermögensregister als Mittel der Massenüberwachung – und wie du ihm entgehen kannst

April 18, 2024
Das echte Monster versteckt sich nicht unter dem Bett oder im Schrank ... sondern in Parlamenten,…
ALLE BLOGARTIKELLIFESTYLE

Widerlegung der größten Mythen des Freilernens

April 9, 2024
Dieser Artikel ist eine Anregung, anders zu denken als die Denkweise, die über so viele…
ALLE BLOGARTIKELINVESTMENTS

Deutschlands Zahlungen ins Ausland: Wohin das gestohlene Geld auch noch fließt

March 30, 2024
Wie nennt man das? Der Staat ist unerbittlich, wenn es darum geht, alle möglichen Steuern…
Close Menu